Publikum begeistert bei der ersten Aufführung – Rund 150 Mitwirkende auf und hinter der Bühne  

Dicke Gewitter- und Regenwolken jagten über den Spielort – eineinhalb Stunden lang. Sie trieben den Verantwortlichen tief Sorgenfalten auf die Stirn. Und doch hielt das Wetter gestern bei der Premiere des Wasserburger Bürgerspiel vor vollbesetzter Tribüne in der Frauengasse. Am Ende gab es langanhaltenden Applaus für die rund 150 Mitwirkenden am Rathaus – und zwischendurch auch viel Szenenapplaus. Unter den rund 350 Premieren-Gästen war gestern auch viel Prominenz aus der heimischen Politik und Kulturszene vertreten. Neben Landrat Otto Lederer, Landtagsabgeordneten Wast Friesinger und Bürgermeister Michael Kölbl waren auch zahlreiche Stadträte sowie die Kulturreferentin des Landkreises, Anke Hellmann, mit dabei. 

Es bedarf schon gewaltiger Anstrengungen, das Wasserburger Bürgerspiel in Szene zu setzen und den Wasserburgern ein solches Theaterstück zu präsentieren: Rund 150 aktiv Beteiligte standen auf und hinter der Bühne, als die Fanfaren den Beginn des Bürgerspiels verkündeten.

In Wasserburg hat die Aufführung des Bürgerspiels Tradition. Die Textvorlage stammt aus 1937 von Eugen Ortner, erstmals 1938 aufgeführt und nach dem 1949 sowie 1988 im Rathaussaal.

Doch in der Folgezeit kann man diese Tradition weniger verfolgen. Erst im Jahre 2000 griff der Wasserburger Theaterkreis die Idee wieder auf und veranstaltete ein Bürgerspiel. Es sollte alle zehn Jahre in Wasserburg zur Aufführung kommen. Aber an diesen Abstand vermochte man sich auf Grund vieler äußerer Umstände nicht zu halten. So kam es nach 2000 im Jahre 2009 und im Jahre 2013 zur Aufführung. Die Idee, dem Zehn-Jahres-Rhythmus zu folgen, scheiterte dann 2023, da die Nachwirkungen der Covid19-Pandemie eine derartige Veranstaltung leider nicht möglich machten. Aber nun hat es 2024 geklappt und ein wichtiger Eckpfeiler Wasserburger Traditionspflege konnte wieder zur Aufführung gelangen.

Der Vorsitzende des Wasserburger Theaterkreises, der auch 2024 das Bürgerspiel organisierte, Sepp Christandl, freute sich dann auch über den überwältigenden Besuch. Elfmal soll es aufgeführt werden und schon vor der Premiere waren alle Karten ausverkauft.

 

Bürgermeister Michael Kölbl mit Zweitem Bürgermeister Werner Gartner, der Teil des Ensembles ist und den „historischen“ Bürgermeister Fröschl spielt.

Und dann ging es auch schon los: Man hatte seitens der Veranstalter darauf verzichtet, einen Umzug durch die Stadt zu organisieren, das gesamte Spiel fand auf dem Platz hinter der Frauenkirche statt. Und es gestaltete sich zu einem Theaterstück, das zahlreiche Momente eines wahren Volksfestes in sich trug. Die Fanfarenbläser laufen immer wieder über die Bühne mit dem stets wunderbar gut gelaunten Georg Machl an der Spitze, an einem Tisch sitzen die Schiffsknechte und trinkt Wein und Bier, das Ambiente mutet ein wenig wie bei den sieben Zwergen an. Hinter, ja eigentlich über der Bühne thront eine große Innplätte, auf der der Handelsherr Jakob Gumpelzhaimer (hervorragend gespielt von Herbert Binsteiner aus Albaching) gerade in Wasserburg anlandet.

Gumpelzhaimer möchte seine hübsche Tochter Irmingard (bezaubernd verkörpert von Magdalena Haneberg aus Wasserburg) verheiraten und er hat schon den richtigen Bräutigam aus Venedig mitgebracht, den heißblütigen Bosco Battista (in einer sehr anspruchsvollen Doppelrolle exzellent gespielt von Michael Binsteiner aus Albaching).

Doch die verwöhnte Patrizierstochter liebt nicht den italienischen Liebhaber, der gut für die Geschäftspflege des Vaters wäre, sondern den Wasserburger Maler Hans Wieser (Michael Binsteiner), der auch noch ein ausgewiesener Gegner von Gumpelzhaimer ist. Michael Binsteiner vermochte es in einzigartiger Weise zwischen Bosco Battista und Hans Wieser hin- und herzuspringen, eine höchst überzeugende Darstellung in einer Doppelrolle.

Doch damit nicht genug: Bosco Battista liebt das Feurige und hat deswegen sehr schnell ein Auge auf die Weinwirtin Regina (gekonnt dargestellt von Franziska Hein aus München), der aber vorgeworfen wird, den Wein gepanscht zu haben, weshalb der Wasserburger Volkszorn lautstark verlangt, sie an den Pranger zu stellen und entsprechend zu ächten.  Doch Regina selbst ist Anführerin einer Frauenbewegung in Wasserburg, die den übermäßigen Alkoholkonsum der Männer ebenso einschränken will wie die Durchsetzung einer Frauenherrschaft, was den mit dieser Situation überforderten Bürgermeister Fröschl (sehr gut dargestellt von Werner Gartner aus Wasserburg) nur zu einem Kopfschütteln bewegen kann. Doch der Volkszorn ist stark: „Panscher an den Pranger“ wird gefordert und die Frauenbewegung fordert Emanzipation und „Wir wollen Hosen“. Sie wollen sie sich buchstäblich anziehen, was die Stadt in ihrer Männerherrschaft verunsichernd umtreibt.

Angeführt werden die Frauen nicht nur von der Weinwirtin Regina, sondern auch von Gumpelzhaimers Frau Elisabeth (außergewöhnlich gut verkörpert von Brigitte Oberkandler), die immer wieder versucht, das wahre Regiment im Hause Gumpelzhaimer jedermann deutlich zu machen. Selbst wenn die Männer so tun mögen , als hätten sie etwas zu sagen, die wahre Herrschaft liegt doch bei den Frauen.

Doch am Schluss merkt auch sie, dass eine familiäre Idylle letztlich schöner sein mag als die große Emanzipation und so zieht sie mit ihrem Mann ins Blaufeld, was zwar ein wenig weg ist von Wasserburg, doch in Sichtweite. Nur die Fähre darf nicht mehr fahren, verlangt sie von ihrem Mann, denn sie will in trauter Zweisamkeit ihre Ruhe haben.

Tragende Charaktere, die sich durch das ganze Stück ziehen und die Szenen gekonnt und humoristisch verbinden, verkörpern auch Andreas Schuur (Schnaitsee) als Salzscheibentoni sowie Steps Lossin (Wasserburg) als Hauptmann Greif, Wast Friesinger junior (Albaching) als Harald der Herold, Lukas Linner (St. Wolfgang) als Surauer, Peter Mühle (Eiselfing) als Meister Leb, Felix Holzapfel (Wasserburg) als Schiffsmeister, Albin Beschta (Rechtmehring) und Thomas Häberle (Pfaffing) als Schiffsknechte, Carl Heinz Hartmann (Wasserburg) als Abt Konrad, Ronja Langer (Steinhöring) als Pfefferl, Paula Langer (Steinhöring) als Walburga, Julia Hartmann (Wasserburg) als Schmiedin sowie Marcel Sitz (Albaching) als Erfinder Carl Zeiss. Und natürlich darf man Ende auch der große Auftritt von Prinz Wilhelm (Georg Gäch, Ramerberg) nicht fehlen.

Spielleiter Christian Huber, aus dessen Feder auch die neue Bürgerspielfassung stammt, ist es in hervorragnder Weise gelungen, die verschiedensten Charaktere auf der Bühne zu vereinen und daraus ein wahres Bürgerspiel für das Jahr 2024 zu gestalten. Frauenrechte und Frauenemanzipation als Leitthema kommen in der Originalvorlage von Eugen Ortner so nicht vor. Dennoch passt diese Inszenierung in die Stadt und die heutige Zeit. Gelungen und kurzweilig inszeniert, spricht das Spiel der 150 Teilnehmer das gesamte Publikum an. Stürmischer Szenenapplaus macht es immer wieder deutlich.

Und so kommt es am Schluss, wie es kommen musste, denn in einem Bürgerspiel werden die den Geschlechtern zugeschriebenen Charaktereigenschaften nicht so einfach über Bord geworfen: Der Maler Hans Wieser wird vom Pfefferl, der engsten Freundin Irmingards, unter die Haube gebracht, Irmingard emanzipiert sich in „Minga“, der Venezianer reist wieder ab und in Wasserburg bleibt alles so wie es ist.

Sehr gelungen sind auch die Einsprengsel an aktuellen Sprach- und Verhaltensgewohnheiten, wenn die Frauen immer wieder mit dem englischen Wort „Fuck“ fluchen oder aber der Prinz Wilhelm von Bayern in seiner Sänfte rückwärts getragen wird und dabei sttets „Piep, piep, piep“ ruft, um die Geräuschkulisse von Lastwägen satirisch zu verfremden.

Auch dass der Venezianische Liebhaber wiederholt bei Giovanni Trappatonis Interviewbemerkungen in seiner Trainerzeit in München zitierende Anleihen nimmt, gehört dazu

Ein sehenswertes Bürgerspiel, für das es leider keine Karten mehr gibt. Vielleicht hat ja der eine oder andere Glück und erheischt noch ein Ticket, das zurückgegeben wird.

PETER RINK / Fotos: Stefan Pfuhl

Von links: Landrat Otto Lederer, die Kulturreferentin des Landkreises, Anke Hellmann, Wast Friesinger junior als Harald der Herold, Landtagsabgeordneter Sebastian Friesinger senior und Bürgermeister Michael Kölbl.